Donnerstag, Juli 18, 2024
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Nachlese zum viertägigen Kata-Seminar in Berlin

Vom 4. – 7. November 2023 fand nun schon traditionell das viertägige Kodokan Kata-Seminar statt.  Auch in diesem Jahr lies es sich Sameshima sensei nicht nehmen wieder in Berlin dabei zu sein. Er ist von Anfang an dabei. 
Auch in diesem Jahr kamen die Teilnehmer*Innen aus sieben Ländern und dem ganzen Bundesgebiet.Es ist das vierte Mal, dass ich für Sameshima Motonari (8.Dan Kōdōkan) beim Kōdōkan Kata Seminar übersetzt habe. Sameshima war das bereits fünfte Mal in Berlin, Shuji Ōshima (7.Dan Kōdōkan) war das zweite Mal dabei. Wie auch zuvor wurde das Seminar von Astrid Machulik (6.Dan Kōdōkan), Prüfungsreferentin des JVB, organisiert. Wie auch im letzten Jahr hat sie mich gebeten, einen kleinen Beitrag dazu zu schreiben.

Die vier Kata waren diesmal: Nage no Kata, Kōdōkan Goshin-jutsu, Katame- und Jū no Kata.
Teilnehmer kamen aus der Schweiz, Großbritannien, Griechenland, Frankreich, Tschechien, Österreich, Chile und unterschiedlichen Bundesländern Deutschlands. Das Seminar fand vom 04.11.-07.11.2023 in Berlin statt.

Der grundsätzliche Ablauf eines Seminartages ist immer ähnlich: Nach einer Kata-spezifischen Erwärmung und einer kurzen Einführung werden die Techniken einzeln von den Lehrern oder gelegentlich auch fortgeschrittenen Schülern demonstriert. Dabei werden die wichtigsten Punkte bereits genannt, anschließend wird paarweise geübt. Die Lehrer machen währenddessen ihre Runden, sind bei Fragen stets ansprechbar und geben Hinweise zur Ausführung. Des Öfteren wiederholt Sameshima Sensei auch eine Technik, um bestimmte wichtige Punkte zur Ausführung zu unterstreichen oder beobachtete Fehler aufzuzeigen, dann wird erneut geübt. Immer wieder baut Sameshima Sensei hier auch allgemeinere Erklärungen ein, gibt Hintergrundinformationen zur Kata und erklärt sein Verständnis von Jūdō. Wenn die Kata komplett durchgegangen wurde, gibt es eine freie Trainingszeit, um die gesamte Kata am Stück zu üben. Am Ende eines Tages wird die jeweilige Kata von einem oder mehreren Freiwilligen vorgeführt und zum Abschluss werden die Teilnahmeurkunden vergeben.

Vier Tage – vier Kata – hohes Niveau in der Franz-Mett-Sporthalle

Der Seminarinhalt entspricht dabei dem, was auch im Kōdōkan-Summer Course „Kata“ unterrichtet wird, wie Sameshima Sensei betonte. Der Sommerkurs ist für Männer ab dem 4. Dan und für Frauen ab dem 2. Dan möglich. Das er hier die gleichen Inhalte vermittele und mit den gleichen Fragen und Problem konfrontiert werde, zeuge vom hohen Niveau, dass die Übenden hier bereits erreicht haben, so Sameshima. Das ist insofern bemerkenswert, als er die derzeit höchste Autorität für Nage- und Jū no Kata im Kōdōkan ist und somit auch die Richtlinien zur Ausführung bei Wettkämpfen festlegt. Und in der Tat sind viele der Teilnehmer nicht zum ersten Mal bei einem der Lehrgänge und internationale Wettkämpfer sind ebenfalls oft darunter.

Abschlussfoto am Tag der Nage no Kata

Die Nage no Kata war mit 75 Teilnehmern erneut am besten besucht. Ōshima Sensei ist 2-maliger Weltmeister in Nage no Kata. Als Tip für die gute Demonstration von Kata, wie auch für den Alltag, sprach Sameshima an diesem Tage zu dem Begriff shosa 所作, einem Begriff, der grob mit „Gebaren“, „Bewegung im Raum“ oder „Art sich anderen gegenüber zu verhalten“ übersetzt werden kann. Shosa kann aber etwa auch die Bewegungen eines Kabuki Schauspielers auf der Bühne beschreiben kann. Dabei stellte er den feinen, aus seiner Sicht jedoch entscheidenden Unterschied zwischen kirei shosa 綺麗 所作 und utsukushii shosa 美しい所作, also den Unterschied zwischen ‚hübsch anzuschauenden‘ (kirei) und ‚wirklich schönen‘ (utsukushii) Bewegungen heraus. Letztere seien nämlich von einem inneren Prinzip getragen, und man spüre bei einer Kata-Vorführung, ob nur eine Form oder das dahinterliegende Prinzip vorgeführt werde. Er bat darum, beim Training, wie auch im täglichen Leben ‚echte Schönheit‘ dabei zu zeigen. Shosa reicht von der Art, sich auf der Matte zu bewegen, bis dahin die Sportlatschen am Mattenrand ordentlich zu platzieren.

所  作

sho   sa

„Raum, Ort“ + „Schaffen, herstellen“ – Die Art sich anderen gegenüber zu verhalten und im Raum zu bewegen.

 


Ein weiterer von Sameshima angesprochener Punkt an diesem Tag war, wie auch bereits in vergangenen Jahren, der sinnvolle Aufbau von beim Lernen von Jūdō-Techniken – bezogen sowohl auf Wettkampftechniken, wie auch auf Kata. Am Beispiel eines Tai-Otoshi erläuterte er den dreistufigen Prozess, in dem man vorgehen solle. Jede Technik habe zunächst einen Rhythmus, den man verstehen müsse, in diesem Fall 1….2.3. und in welchem die Bewegungssegmente funktionieren. Auch Kata-Techniken haben einen solchen Rhythmus, den beide Partner zunächst lernen müssten. Als nächstes folgt die Form (katachi), also die Hand- und Fußbewegungen, die zunächst einzeln geübt und später kombiniert werden. Im dritten Schritt, wenn also alle Körperteile im richtigen Rhythmus die Form ausführen können, und als Einheit funktionieren erfolgt das Upgrade: Schnelligkeit und Kraft können nach und nach hinzugefügt werden.

Dieses Prinzip lässt sich sowohl auf Übungen mit Partner bei Wettkampftechniken und Kata, als auch auf individuelle Übungen anwenden.

Am Sonntag wurde die Kōdōkan Goshin-jutsu geübt, die Selbstverteidigungstechniken enthält. Wer diese Kata kennt weiß, dass bei vielen Entwaffnungs- und Verteidigungstechniken zumeist der Angreifer in eine Position gebracht werden soll, in der er schließlich aufgibt. Um dies zu erreichen, erklärte Sameshima, sei hier das wichtigste Prinzip, den Partner nicht durch Kraft, sondern durch die richtige Körperbewegung, (tai-sabaki) zu lenken. Im Falle eines Kata-Gatame aus dem Stand bedeutet dies, den Hebel durch mehrere Gleitschritte und Zugbewegung zu begleiten, statt auf der Stelle stehend mit aller Kraft zu versuchen, den Hebel durchzusetzen.



柔 よく 剛 を 制す

Jū        yoku        gō      wo     seisu

 

„Weich und flexibel dominiert hart und fest“ – Japanische Redensart

 


Dahin gehend erläuterte er weiterhin, dass, da jeder Körper anders gebaut sei, natürlich die Schrittvorgaben aus den Kata-Lehrbüchern nur Richtwerte seien und es kein „one size fits all“ gäbe. Alter, Größe, Körperkraft und Fähigkeiten unterscheiden sich. Ohnehin erklärte er fast an jedem Seminartag, dass die allzu strikte Festlegung auf richtig und falsch bei Kata nur dafür gemacht sei, bei Wettkämpfen einen klaren Sieger festzustellen. Viel wichtiger sei es, die zu Grunde liegenden Prinzipen zu verstehen und zu ergründen.

Teilnehmer der Katame no Kata Links oben Sameshima und Ōshima Sensei sowie Thomas Jüttner, in der Mitte Frau Machulik, Herr Fritz und Herr Kitaura, v.l.n.r


Wie schon erwähnt, startete jeder Seminartag mit einer spezifischen Erwärmung, passend zur die jeweiligen Kata. Am dritten Seminartag der Katame no Kata wurde daher ein besonderer Fokus auf die Bewegung am Boden gelegt und verschiedene Varianten der Krebsbewegung (ebi) besprochen. Später an diesem Tag besuchte der Gesandte der Botschaft Japans in Berlin, Kitaura Yasuhiro, bereits zum zweiten Mal das Kōdōkan Kata-Seminar. Zudem kamen Thomas Jüttner, Präsident des JVB, Bezirksstadtrat Benjamin Fritz und Frau Ersek vom Sportamt Berlin.

Für diejenigen, die an allen vier Tagen teilnahmen, bot die Jū no Kata einen runden Abschluss des Lehrgangs. Passend zur Kata fand hier eine überaus gründliche Dehnung aller Körperteile zur Erwärmung statt. Am letzten Abend fand, organisiert durch den gastgebenden Verein K.i.K. Berlin, dem ich auch angehöre, ein gemeinsames Grillen statt.

An allen vier Tagen bot Sameshima Sensei, der selbst seit vielen Jahren Kalligraphie praktiziert, in den Pausen Interessierten die Möglichkeit, selbst einmal den Pinsel in die Hand zu nehmen und die Zeichen für 柔道 aufs Papier zu bringen. Wenn dies auch nicht zum Standardprogramm des Seminars gehörte, so war es doch eine willkommene Bereicherung und ein Einblick in die japanische Kultur.
 
Insgesamt war es eine schöne und lehrreiche Veranstaltung. Mein Dank gilt neben den Lehrern des Kōdōkan insbesondere Astrid Machulik für Ihre unermüdliche Organisationsarbeit, dem Verein K.i.K. Berlin als Gastgeber, dem und dem JVB als Ausrichter sowie allen Teilnehmern und Helfern. (Maxim Paul)